Ist Sterben eine Rudelsache?
Ein sensibles Thema: Abschied nehmen, wenn man mehrere Hunde hat. Wie verhält man sich, wenn nicht nur Menschen, sondern auch Hunde Abschied nehmen müssen.
Christin L. schreibt uns: “Mit Speedy und Goofy habe ich zwei Hunde, die ihr Leben miteinander verbracht haben. Ich habe sie vor 4 Jahren übernommen, weil ihr Herrchen verstarb und soweit ich weiß, waren die beiden immer zusammen. Sie wurden zusammen großgezogen und haben über viele Jahre hinweg eine enge Beziehung zueinander. Sie sind unzertrennlich, schlafen im selben Körbchen, eng aneinandergekuschelt. Nun geht es mit Speedy langsam dem Ende entgegen, der Tierarzt gibt ihm noch einige Wochen. Es klingt erstmal schlimm, aber nun habe ich die Möglichkeit, mich darauf vorzubereiten. Ich frage mich, ob es für Speedy leichter wird, wenn nicht nur ich, sondern auch sein bester Freund Goofy bei der Euthanasie dabei sind. Auch Goofy würde es sicherlich den Abschied erleichtern. Oder mache ich da etwas falsch? Ich bitte aus gegebenen Gründen um rasche Nachricht.”
Liebe Christin,
es tut mir sehr leid für dich, du hast eine harte Zeit vor dir und es ehrt dich sehr, dass du dir so viele Gedanken machst, wie du die Euthanasie bestmöglich gestaltest. Die Frage ist nur, was das Optimum ist, und zwar für wen. Du versuchst nämlich gerade einen Spagat, indem du beiden Hunden das Optimum bieten möchtest. Das wird aber nicht funktionieren, du wirst dich entscheiden müssen, wem deine Hauptsorge gilt: dem sterbenden Speedy, oder dem zurückgelassenen Goofy.
Beginnen wir doch einfach einmal mit dem, was Goofy erleben wird. Sein Freund Speedy wird ja nicht natürlich sterben. Er wird also dabei sein, wie der ihm flüchtig bekannte Tierarzt Speedy eine Spritze gibt, und daraufhin wird Speedys Körper schwächer, er sackt zusammen und dann wird er „entschwinden“. Während dieser ganzen Situation wird Goofy die Gefühle von allen Beteiligten wittern. Das Kortisol, hervorgerufen durch Stress, wird in der Luft liegen. Alle Beteiligten werden es produzieren, weil sie gar nicht anders können. Auch der begleitende Tierarzt, denn solche Momente sind auch für Tierärzte emotional aufwühlend. Wir wissen nicht, was Hunde denken, wenn ein anderer Hund stirbt. Aber wir wissen, dass ein erhöhter Spiegel des Stresshormons Kortisol des Menschen auch beim Hund den Kortisolspiegel in die Höhe treibt. Wie wird Goofy sich dann verhalten, wenn er das unheimliche Gefühl entwickelt, das hier gerade etwas Unerhörtes geschieht? Wird er sich hilfesuchend an dich wenden? Möglicherweise lauthals bellend oder winselnd? Dann müsstest du deine Aufmerksamkeit zwischen einem sterbenden und einem verstörten Hund aufteilen. Vielleicht fordert der überlebende Hund sogar so viel, dass für den sterbenden Hund nichts mehr übrig bleibt. Oder wird er seinen besten Freund gegen den Tierarzt beschützen? Er könnte durchaus versuchen, den Körper des sterbenden Speedys abzuschirmen und den Tierarzt anzugreifen. Auch freundliche Hunde können in Extremsituationen über sich hinaus wachsen und unberechenbar werden. Und dann kann der Tierarzt seine Arbeit nicht in Ruhe und Sicherheit ausführen, Goofy müsste aus dem Raum gebracht werden und du fändest dich in einem heillosen Durcheinander wieder. Und langfristig könnte Goofy durch die Erfahrung sein Vertrauen verlieren. Er sieht ja nur, dass du dabei bist, wie sein Freund nach einer Spritze stirbt. Ein logisch kombinierender Hund könnte angesichts dessen die Überzeugung gewinnen, dass man dir und/oder dem Tierarzt nicht vertrauen kann. Es sind also viele Risiken, die man eingeht, wenn man den anderen Hund während einer Euthanasie dabei sein lässt. Und welche Vorteile sollte es bringen? Sollte es Goofy seine Trauer erleichtern? Ich habe mich wirklich überall umgehört, aber bisher wurde es nicht bewiesen, dass es dem anderen Hund hilft, weniger zu trauern, indem er seinem Freund beim Sterben zusieht. Aber ich habe mich bei vielen Züchtern umgehört und dabei eine ganz andere interessante Übereinstimmung gefunden. Wenn einer der Hunde im Sterben liegt, kommen die anderen Hunde vorbei, beschnüffeln ihn und verabschieden sich. Und dann drehen sie sich um und schauen diesen sterbenden Hund nicht mehr an. Sie beachten ihn nicht, lassen ihm seine Ruhe. Man wird alleine geboren und muss alleine sterben. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen mit meinen Hunden und angesichts dessen ist es fraglich, ob die Anwesenheit von Goofy während des Sterbeprozesses einen Sinn ergibt. Kommen wir nun also um den, um den es eigentlich gehen sollte. Speedy wird sterben und ich glaube ganz ehrlich, es wäre gut, ihm während dieses Prozesses vollständig zur Seite zu stehen. Ohne Ablenkung, um sich nur auf ihn zu konzentrieren und ihm Beruhigung und Beistand beim Loslassen zu bieten. Dazu muss man sich auch selbst im Griff haben, sich sammeln und Stärke, Frieden und ruhige Zuversicht ausströmen. Denn das wird Speedy helfen. Das Schlimmste wäre es, wenn du deinem Kummer freien Lauf lässt. Ganz ehrlich, ich habe dann schon sterbenskranke Tiere erlebt, die sich dann derart alarmiert gegen die Euthanasie stemmen. Und so sterben sie aufgewühlt, unruhig und ängstlich. Als Sterbebegleiter geht es also nicht um dich, sondern darum, Speedy beizustehen. Dazu hilft der feste Glauben, dass es das Beste für ihn ist. Speedy wird das wahrnehmen und DAS ist es, was ihm hilft.
Ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen, will ich auch nicht. Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir sage, wie ich es machen würde: Ich würde mich erst um den sterbenden Hund kümmern. Und später um den Trauernden. Aber alles zu seiner Zeit und keinesfalls gleichzeitig. Multitasking beim Abschied eines Lebens ist etwas, was ich nicht schaffen würde. Aber wie heißt es so schön: Jeder ist anders. Eine Alternative wäre, den Tierarzt ins Haus kommen zu lassen. Dann könnte man spontan entscheiden, ob Goofy dabei sein kann oder ob es besser wäre, ihn den Vorgang der Euthanasie nicht mit ansehen zu lassen. Sterben wäre für mich also keine Rudelsache, sondern etwas Privates zwischen Mensch und Hund.

Die Hundewelt – Deutschlands großes Hundemagazin.
Du willst das Beste für dich und deinen Hund? Nichts leichter als das. In der HundeWelt wirst du jeden Monat mit allem versorgt, was dich deinem Hund garantiert näher bringt.