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Bags – eine Minenspürhündin für eine bessere Welt in Bosnien

Nach dem Krieg auf dem Balkan waren viele Flächen, in den Städten wie auch im Bereich der Landwirtschaft, mit Minen und Blindgängern verseucht. Es ging nun darum, möglichst zügig und sicher diese Flächen zu räumen, damit sie wieder nutzbar wurden.

Im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa wurden verschiedene Anläufe gestartet, um dieses Ziel zu erreichen. Die ehemals bosnische Armee sollte diese Räumung durchführen und zu diesem Zweck mit Spürhunden ausgestattet werden. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes nahmen wir uns des Problems an. Auf der Suche nach geeigneten Hunden für die Ausbildung trafen wir in einem Tierheim auf Bags. An ihrem Zwinger stand geschrieben „Wird bald läufig“ und „Zu dick, muss abnehmen“. Dem war nur zuzustimmen, Bags hatte für eine kleine Schäferhündin einen wirklich beeindruckenden Umfang. Die Überprüfung, also Suchen und Spielen mit ihr bis dahin unbekannten Gegenständen, bestand sie mit links. Trotz ihrer Körperfülle war sie hoch motiviert und blitzschnell. Darüber hinaus konnte man an ihren Augen erkennen, dass sie auch wirklich was lernen wollte und schnell begeisterungsfähig war.

Ein Minenspürhund aus dem Tierheim?

Bags kam also mit uns, nachdem wir im Tierheim genau erklärt hatten, was wir denn mit ihr vorhaben. Wir waren gerade einmal zwei Stunden Zuhause, da meldete sich das Tierheim. Es gab dort mittlerweile Probleme mit der Abgabe des Hundes an uns. Minen finden und räumen mit Hunden war zu der Zeit noch nicht unbedingt bekannt und viele Damen des Tierschutzvereins waren sehr besorgt, was denn mit Bags passieren sollte. Bags sollte also wieder abgeholt werden. Nun, ich war nicht bereit, die Hündin so ohne Weiteres wieder herzugeben, schließlich hatten wir sehr genau erklärt, wie die Ausbildung ablaufen soll und was von Bags im Einsatzgebiet erwartet würde. Die Mannschaft des Tierheimes traf also ein und wir einigten uns darauf, zunächst nochmals den Sachverhalt zu besprechen. Ich hatte mit einer Vielzahl von Vorurteilen zu kämpfen. Es kam das Argument, dass die Betätigung für den Hund viel zu gefährlich sei, schließlich könne er auf eine Mine treten und man habe gehört, dass die Hunde am Ende ihrer Tätigkeit am Hals in Bäumen aufgehängt würden, um sie zu „entsorgen“. Auch würden die Hunde sehr schlecht gehalten und würden nur unzureichend versorgt. Ich war doch einigermaßen erstaunt, welche Ansichten so vorherrschten. Aber nach einem sehr langen Gespräch konnten alle Vorurteile ausgeräumt werden. Wir einigten uns auf regelmäßige Berichte und Fotos und versprachen, sollten wir Bags am Ende ihrer Tage nicht unterbringen können, sie in jedem Fall wieder zurückzubringen.

Ausbildung mit Überraschung

Dann also sollte die Ausbildung losgehen. Bags stellte sich sehr geschickt an und hatte schon nach kurzer Zeit die Gerüche der Zielobjekte verstanden und auch schon teilweise den Bewegungsablauf während der Suche im Feld verinnerlicht. Das Problem war: Bags nahm und nahm nicht ab. Das ging über fast 4 Wochen so – keine Gewichtsveränderung zum Positiven festzustellen, eher lief die ganze Sache trotz Futterabzug ins Gegenteil. Nun ja, eines Morgens wurde ich auf meinem Weg zu Bags von seltsamen Geräuschen begrüßt. Winseln, Fiepen, Quieken. Bags war nicht mehr allein. Sie hatte über Nacht deutlich an Umfang und Gewicht verloren, da nun acht neugeborene Welpen neben ihr lagen. Da war dann natürlich die Ausbildung egal, es musste jetzt erst einmal eine Wurfkiste, eine Wärmelampe etc. her. Klar, dass sie nicht abgenommen hatte … so was ist mir auch noch nie passiert. Was es nicht alles gibt. Bags war natürlich für die nächste Zeit „out of order“ und kümmerte sich um ihre Welpen. Alle 8 Welpen sahen absolut gleich aus, entwickelten sich sehr gut und konnten im Bekanntenkreis vermittelt werden. Nach knapp 8 Wochen fingen wir dann mit leichtem Training wieder an, Bags holte zügig auf und stand schon nach wenigen weiteren Wochen ihren Mitstreitern in nichts nach.
Nach Ablauf von 3 Monaten ging dann die Reise nach Bosnien los, dort sollten sich die Hunde zunächst an ihre neuen Hundeführer gewöhnen und das Training fortsetzen. Bis auf ein paar kleinere Probleme an der slowenischen und bosnischen Grenze war die Fahrt zwar lang, aber problemlos. Die Unterkünfte für die Hunde waren bereits fertig und wir konnten direkt mit den Vorbereitungen beginnen. Die Zuteilung der Hunde zu den Hundeführern verlief einwandfrei und wir begannen direkt mit dem Training vor Ort. Die Hunde hatten ja nun schon gelernt, was von ihnen erwartet wurde. Die Hundeführer hatten teils noch Probleme, aber auch das war in den Griff zu kriegen. Bags zeigte allerdings auf einmal einen bestimmten Typ einer Antipersonenmine nicht mehr an. Alles andere funktionierte, nur diese Mine, eine PMA 2, wollte sie nicht akzeptieren und das, obwohl sie diese noch vor wenigen Tagen problemlos aufgespürt und angezeigt hatte. Des Rätsels Lösung war einfach: Bags hatte während des Trainings ihrem Hundeführer die Mine angezeigt, dieser allerdings konnte oder wollte nicht glauben, dass dort wirklich eine Mine sein sollte und schickte Bags weiter, ohne sie zu bestätigen. Bags hat also angenommen, er will diese Mine nicht angezeigt haben und hat diese komplett aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
Es hat ein paar Übungseinheiten gedauert, bis Bags die PMA2 wieder in ihre Liste aufnahm. Klar ist natürlich, dass es ein sehr ernstes Gespräch mit dem Hundeführer gab. Es ist im Minenfeld absolut überlebenswichtig, dem Hund bedingungslos zu vertrauen, denn schließlich riecht dieser die Minen und nicht der Hundeführer. Im „scharfen“ Einsatz wären beide tot gewesen. Nachdem alle Lektionen gelernt waren, stand die Prüfung vor dem Mine Action Centre an. Hier wurden jedem Hundeteam fünf 10 x 10m große Flächen zugeteilt. In diesen Flächen befanden sich schon Monate vorher verborgene und vergrabene Minen, eine Fläche war komplett frei. Logischerweise mussten die Teams die Flächen komplett abspüren, alle Minen markieren und natürlich die freie Fläche kennzeichnen. Zum Bestehen der Prüfung waren natürlich 0 Fehler nötig, denn Fehler können in der Minenfläche nicht akzeptiert werden. Alle unsere Hundeführer behielten die Nerven. Bei den Hunden hatten wir überhaupt keine Zweifel und die Überprüfung wurde von allen Teams bestanden.

Vertrauen ist überlebenswichtig

Nachdem nun alle Hürden genommen waren, wurden die Teams zunächst zur Nachsuche eingesetzt. Nachsuche heißt, Flächen, die von Räumpanzern „vorgeräumt“ sind, noch einmal zu untersuchen, um ganz sicherzugehen. Das Problem ist: Diese Räumpanzer lassen gern auch mal eine Mine oder einen Blindgänger liegen. Der Vorteil ist: Es gibt keine Sprengfallen und Stolperdrähte mehr. In diese Flächen werden zunächst Sicherheitswege von ca. 1,20 – 2 m von Hand eingearbeitet. Diese Sicherheitswege teilen dann die Gesamtfläche wie ein Schachbrett auf. Es werden Suchflächen für die Hunde von 10 x 10m geschaffen, die von jeder Seite von einer Sicherheitslinie eingerahmt werden. Auf diesen Linien können sich dann Hund und Hundeführer relativ gefahrlos bewegen.
Das Dumme ist nur, wenn die Bevölkerung mitbekam, dass wir in einer Fläche arbeiten, wurde auch schon mal gern eine Mine oder Handgranate in bereits abgesuchte Wege geworfen. Ich will natürlich keine böse Absicht unterstellen, vermutlich wollten die Leute ihr Zeug nur einfach loswerden und dachten, dass es da schon gefunden wird. Für uns bedeutete das, jeden Morgen alles nochmals mit größter Vorsicht abzusuchen … All dies bedeutete natürlich einen immensen Zeitverlust. Hinzu kommt natürlich, dass die Minensuche in Bosnien witterungsbedingt nur im Sommer möglich ist. Bei Regen, Wind, Schnee oder auch Schlamm ist die Arbeit zu gefährlich, da die Hunde die sowieso nur minimale Witterung eventuell zu spät wahrnehmen würden. Die verlangte Absuche der Sicherheitswege von Hand wurde mittels eines Entminers und einer Minenräumnadel durchgeführt. Selbst wenn der Entminer sich die allergrößte Mühe gab, schaffte er höchstens 8 – 10 qm am Tag. Ein Hund wurde ungefähr 800 – 1000 qm schaffen können. Wir versuchten also das Mine Action Centre zu überzeugen, dass ein Hund genauso sicher, aber schneller arbeiten kann. Mithilfe von Bags und ihrem Hundeführer konnten wir diesen Nachweis führen. Sie kämpfte sich mit tiefer Nase durch die Flächen und das Gestrüpp und übersah nichts. Sie fand und zeigte die Minen sicher an und begeisterte so den Prüftrupp des Mine Action Centres. Im Anschluss an die Räumsaison kam Bags mit ihren Kollegen wieder nach Deutschland, um hier den Winter zu verbringen. Vor Beginn der neuen Saison führten wir leichtes Training durch, aber die Hunde hatten nichts vergessen. Sobald sie die nachgebaute Minenfläche sahen, gingen die Nasen runter und sie konnten es gar nicht abwarten loszulegen.

Bags kommt sogar ins Fernsehen

Das Fernsehen hatte sich angesagt, um über die Minensuche zu berichten. Zu diesem Zweck hatte ich eine Minenfläche wie in Bosnien nachgebaut und Bags zeigte ihr Können. Auch zahlreiche Wiederholungen, vom Kameramann gefordert, störten sie nicht. Das Ergebnis war ein sehr guter Bericht mit wirklich schönen Bildern von Bags Arbeit. Wir haben natürlich während der ganzen Zeit nicht vergessen, Berichte und Bilder von Bags an das Tierheim zu schicken. Sie selbst hat das Tierheim nie wiedergesehen. Bags ist im Alter von 15 Jahren eingeschlafen. Sie war ein sehr bemerkenswerter, liebenswerter Hund und hat, das kann man sicher sagen, ihren Beitrag für eine etwas bessere Welt geleistet. Sie hat teilweise 20 – 40 Minen pro Woche gefunden, einmal sogar über 60, und sie hat fast 12 Jahre nach den Hinterlassenschaften des Krieges gesucht. Man kann sich leicht ausrechnen, wie viele Menschenleben Bags durch ihre Arbeit gerettet hat. Als Gegenleistung für ihren Einsatz wollte sie immer nur ihren Ball und eine Streicheleinheit, nichts weiter. Uns bleibt am Ende nur der Respekt vor dem unermüdlichen Einsatz von Bags und ihren Kollegen. Vielleicht ruft man sich die Leistungen dieser Hunde einmal ins Gedächtnis, gerade wenn man sich über Hunde ärgert oder beschwert bzw. sie in der heutigen, hoch technisierten Zeit für überflüssig hält.

Ein MUSS für jeden, der sich auch nur ansatzweise mit Hundeausbildung beschäftigt.

Martin Weitkamp

Im Schatten der Gefahr

Hardcover, 128 Seiten, s/w

ISBN: 978-3-9815634-2-9

www.minervastore.de

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