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So können wir unsere Hunde besser verstehen

„Mich hat schon immer interessiert, was im Kopf von Tieren vorgeht. Was sie denken, auch was sie fühlen – das ist der Grund weshalb ich Biologie studiert habe“, sagt Dr. Juliane Bräuer. Wir sprachen mit der Wissenschaftlerin, die am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte forscht.

Ich, um die 50, sehe meinen Hund an. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn verstehe?

Juliane Bräuer: Ich würde erstmal sagen, Sie als jemand der in Europa aufgewachsen ist, verstehen ihn ganz gut. Wir haben herausgefunden, dass wir in Europa darin vergleichsweise gut sind. Aber lange nicht optimal, es könnte durchaus besser sein. Offensichtlich spielt bei der Fähigkeit, Hunde verstehen zu können, das Lernen eine große Rolle.

Und wenn mein Sohn unseren Hund ansieht, mit seinen knapp 18 Jahren? Was sieht er?

Juliane Bräuer: Dann wird er ungefähr ähnlich viel sehen wie Sie. Mit 18 ist er ja ein junger Erwachsener. Wäre er 6 Jahre alt, sähe das anders aus. Die 6jährigen Kinder haben in unseren Tests sehr schlecht abgeschnitten. Übrigens haben weder bei den Erwachsenen noch bei den Kindern, Hundebesitzer besser abgeschnitten als Menschen ohne Hund.

Wie entstand die Idee zu dem Projekt?

Juliane Bräuer: Unsere Grundfrage war: Hunde können uns als Menschen erwiesenermaßen gut deuten. Und die Hunde sind darin auch besser als Wölfe. Wenn die uns so gut lesen können, ist es dann auch andersrum der Fall? Dass wir Hunde besser deuten können als andere Arten? Deshalb hätten wir am liebsten Leute getestet, die Hunde gar nicht kennen. Das ist aber kaum möglich. So haben wir Leute rausgesucht, die gesagt haben, „Hunde mag ich nicht, kenne ich nicht oder spielen für mich keine Rolle“. Wir haben dafür speziell einen Fragebogen entwickelt und haben das abgefragt und so Menschen gefunden, die darauf passen. Und das Ergebnis war tatsächlich so, dass die Menschen, die in einer Kultur aufwachsen, in denen Hunde keine Rolle spielen, diese auch kaum zu deuten wissen.

Es handelt sich also um eine kulturell erlernbare Fähigkeit? Wir können das also alle?

Juliane Bräuer: Ja. Das zeigt sich eben auch darin, dass die Hundebesitzer bei der Deutung der Hunde nicht besser waren als die Nichthundebesitzer. Wächst man in einer Kultur auf, in der Hunde präsent und geschätzt sind – zum Beispiel im Alltag, im Umfeld, in den Medien – so scheint man die Fähigkeit zum Hundeverstehen kulturell zu lernen. Aber man kann es noch nicht, wenn man erst 6 Jahre alt ist. Man erwirbt sie später.

Was glauben Sie – wer versteht wen besser: der Hund den Menschen – oder der Mensch den Hund?

Juliane Bräuer: Die Hunde verstehen uns besser. Das sagt ja auch die Studie. Selbst wir Europäer sind ja so gut auch nicht. Wir sind lange nicht bei 100 Prozent. Besonders gut sind wir bei dem Erkennen von Glück (Spielgesicht) und bei Aggression. Die erkennen wir immerhin zu 70%. Einen traurigen Hund erkennen wir noch so einigermaßen, bei einem ängstlichen Hund wird es hingegen ganz schwierig für uns.

Woran liegt das wohl, Ihrer Meinung nach?

Juliane Bräuer: Ich denke mal, wir könnten das andersrum deuten, dass es nämlich sehr wichtig ist, einen aggressiven Hund zu erkennen. Das können wir auch bei anderen Arten und es dient uns als Schutz, als Warnung. Das Spielgesicht ist für uns relativ gut, zu erkennen, weil das vielleicht auch für uns sehr freundlich aussieht, ähnlich wie unser Lachen.

Eben sagten Sie, Kinder können Hunde noch nicht deuten. Was erkennt denn ein 6jähriges Kind?

Juliane Bräuer: Aggression erkennen sie gut und Freundlichkeit gerade so. Die anderen Emotionen erkennen sie nicht. Ein Kind in diesem Alter kann maximal diese beiden Emotionen erkennen.

Dann sollte man den Kontakt zwischen Kindern und Hunden sicherlich besonders sorgsam begleiten?

Juliane Bräuer: Ja. Ein Kind ist laut unserer Studie zum Beispiel überhaupt nicht in der Lage, Angst beim Hund zu erkennen. Und wenn ich mein Gegenüber nicht verstehen kann, dann besteht immer die Gefahr, dass ich ihn falsch verstehe, Warnsignale oder Meideverhalten nicht deuten kann und mich dann nicht angemessen verhalte.

Ich habe selbst einen sehr freundlichen Hund und erlebe es durchaus häufig, dass sich uns Kinder nähern und ihn streicheln oder gar umarmen wollen…

Juliane Bräuer: Genau darauf müssen Eltern acht geben. Dass das Kind das nicht darf. Aber auch Großeltern müssen auf ihren Hund achtgeben, wenn die Enkelkinder kommen. Wir Menschen denken dann schnell, dass der Hund die Kinder als Familienmitglieder erkennt. Aber das sind sie für ihn nicht. Sie kommen ab und an zu Besuch. Das gleiche gilt für Nachbarskinder.

Mal ehrlich – wären Sie gerne einmal für einen Tag ein Hund? Um zu fühlen, zu riechen, die Welt wahrzunehmen?

Juliane Bräuer: Ja! Unglaublich gerne. Das ist total schwierig, sich das vorzustellen, gerade mit dem Geruchsvermögen des Hundes. Wir haben einmal den Versuch gemacht, wie Hunde eine Spur wahrnehmen. Der Hund kommt in den Raum – und da sind Spuren von zwei Lieblingsspielzeugen. Er mag also beide gleich gern. Und jetzt fragen wir uns: Unterscheidet er zwischen den Spuren? Wie unterscheidet er? Da gibt es zwei Deutungsmöglichkeiten: Die eine stammt aus dem Behaviorismus und sagt: Er unterscheidet zwischen gut und schlecht, was nicht so viel mit Denken zu tun hat. Die zweite ist: Er nimmt eine Spur wahr und weiß dann ganz genau, das ist der rote Ball und nicht der gelbe Kong. Er denkt also dabei! Um das herauszufinden, haben wir Spuren mit den Spielzeugen gelegt und am Ende der Spur die Zielobjekte ausgetauscht. Die Hunde folgten der Spur bis zum Ende – und da lag dann das andere Lieblingsspielzeug. Sie sind dann aber weiter herumgelaufen und haben weitergesucht. Sie wussten also, dass diese Spur zu einem anderen Zielobjekt gehört. Also das deutet darauf hin, dass sie wirklich eine Erwartung haben, wenn sie eine Spur verfolgen.

Warum kennen wir den Hund denn so wenig? Oder: Warum kennt er uns besser? Liegt das an der Fähigkeit des Hundes, zu beobachten?

Juliane Bräuer: Er beobachtet uns, weil er ja nichts anderes zu tun hat. Außer fressen und schlafen sind wir halt das Wichtigste.

Könnten wir das vom Hund lernen? Ihn zu beobachten, um ihn besser zu verstehen?

Juliane Bräuer: Das ist eine andere Situation. Wenn sie eine Affengruppe haben, dann haben sie das Phänomen, das die Rangniedrigeren mehr beobachten, als die Ranghöheren. Der Ranghohe geht zur Futterstelle, nimmt sich selbstverständlich alles, was er will und kümmert sich nicht um die anderen. Der Hund ist von uns abhängig, und es ist sein einziger Job, uns zu beobachten. Aber es wäre sicherlich gut, wenn Leute das mehr oder besser machen würden. 

Was ich persönlich erlebe, ist, dass Menschen Sachen sofort erklären. Diese Neigung ist typisch menschlich, aber oft einfach nicht richtig.. Der Klassiker ist übrigens: „Mein Hund versteht jedes Wort!“

Ist das ein Problem?

Juliane Bräuer: Das „Überdeuten“ des Hundes ist meiner Meinung nach nicht wirklich ein Problem. Das Problem, was ich wirklich sehe, ist, dass die Kinder das falsch machen. Und wenn die Kinder die Hunde falsch deuten, können Beißunfälle passieren. Ich denke, dass Hunde oft aus Angst beißen. Und Angst kann man nicht deuten. Haben wir ja in der Studie gesehen.

Was würden Sie jedem Hundehalter raten, damit er mit seinem Hund bestmöglich auskommt?

Juliane Bräuer: Erstens: Einen Hund zu haben reicht offensichtlich nicht aus, um besonders gut zu sein. Ich würde immer davon ausgehen, dass Kinder das relativ schlecht können und auch immer ein Auge drauf zu haben – auch im Kontakt zu fremden Kindern. Und zweitens:  Ich bin davon überzeugt, dass jemand, der eine gute Hundeschule besucht, auch noch besser werden kann. Lernen spielt eine große Rolle. Und wer Interesse an der Hundeforschung hat: Wir suchen immer Menschen mit Hunden, die an Versuchen teilnehmen möchten und die sich in unsere Datenbank aufnehmen lassen – gerne aus dem Raum Thüringen.

Liebe Frau Bräuer, vielen Dank für das angenehme Gespräch.

Seit 2016 ist Dr. Juliane Bräuer Leiterin der HundeStudien am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Dozentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.


Dieses Interview stammt aus der HundeWelt.

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