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Können Katzen Farben sehen?

Von Tobias M.

Ein Sofa, zwei Meinungen und ein roter Ball

Mein Bruder behauptete steif und fest, seine Katze würde „am liebsten den roten Ball“ jagen. Nicht den grünen, nicht den blauen – nur den roten. Er sagte das mit einer Überzeugung, wie man sie sonst nur bei Fußballfans oder frisch gebackenen Eltern findet. Ich war skeptisch. Nicht, weil ich seiner Katze, einer ruhigen, leicht pummeligen Norwegerin namens Polly, die Farbauswahl nicht zutraute. Sondern weil ich irgendwo gelesen hatte, dass Katzen farbenblind seien. Also stand ich da, an einem Sonntagnachmittag, zwischen Kaffeetasse und Spielzeugkorb, und fragte mich: Sehen Katzen wirklich Farben? Oder war der rote Ball einfach zufällig der, der am besten rollte?

Die Wissenschaft hat sich dieser Frage angenommen – und liefert eine differenzierte, überraschend fein abgestimmte Antwort.

Farbsehen, aber mit Einschränkungen

Neuere Studien zeigen, dass Katzen durchaus Farben unterscheiden können – allerdings nicht unter allen Umständen. Wenn ein farbiges Objekt groß genug ist, also mindestens einen Sehwinkel von 0,5 Steradiant einnimmt, dann können Katzen zuverlässig Blau von Grau oder Grün unterscheiden. Wird das Objekt kleiner, verschwimmt die Fähigkeit zur Farbtrennung – und Helligkeit wird zum entscheidenden Faktor.

Das bedeutet konkret: Wenn Polly den roten Ball aus einem Meter Entfernung sieht, mag sie ihn farblich wahrnehmen. Liegt er weiter weg oder ist kleiner, entscheidet wohl eher der Kontrast als die Farbe. Und vielleicht ist es dann auch nicht mehr der rote, sondern einfach der hellere oder dunklere Ball, der ihre Aufmerksamkeit gewinnt.

Frühere Untersuchungen, bei denen Katzen aus größerer Entfernung zwischen Farben wählen mussten, zeigten dementsprechend eher negative Ergebnisse. Erst Tests mit großflächigen Reizen und freier Wahlmöglichkeit führten zu messbaren Erfolgen.

Ein Blick auf die Netzhaut

Physiologisch erklärt sich das begrenzte Farbsehen der Katze durch ihre spezielle Netzhautstruktur. Katzen sind – im Gegensatz zu uns Menschen – dämmerungsaktive Jäger. Ihre Augen sind darauf optimiert, Bewegungen bei wenig Licht zu erkennen, nicht darauf, Farbspektren bei Tageslicht zu differenzieren.

Die Zapfenzellen – jene Sinneszellen, die Farben erkennen – sind bei Katzen weniger dicht gestreut. Besonders in der zentralen Sehgrube, der area centralis, ist die Dichte deutlich geringer als bei tagaktiven Säugetieren. Dazu kommt, dass Neuronen mit farbgegensätzlicher Verschaltung – also Zellen, die auf Kombinationen wie Rot-Grün oder Blau-Gelb reagieren – im Katzengehirn selten sind.

Interessanterweise gibt es dennoch farbempfindliche Neuronen im sogenannten lateralen Kniehöcker-Kern, kurz LGN. Dort, in bestimmten Schichten, wurden sogenannte W-Zellen identifiziert, die vermutlich an der Verarbeitung von Farbreizen beteiligt sind. Das legt nahe, dass Farbsehen bei Katzen vorhanden ist – aber eben stark reduziert und weniger differenziert als bei uns Menschen.

Wie Katzen tatsächlich Farben unterscheiden

Zwei Hauskatzen wurden in einer aktuellen Studie mit gezielt eingesetzten LED-Lichtreizen getestet. Die Tiere konnten zwischen farbigen LEDs (zum Beispiel Blau mit 456 nm oder Grün mit 524 nm Wellenlänge) und gleich hellen weißen LEDs unterscheiden – und erhielten nur bei richtiger Wahl eine Belohnung. Interessant dabei: Bei Licht um 505 nm, also im Mittelwellenbereich, konnten sie keinen Unterschied feststellen. Ihre Reaktionen lagen dort auf Zufallsniveau.

Dieser sogenannte Neutralpunkt entspricht dem Bereich, in dem auch farbenblinde Menschen mit Rot-Grün-Schwäche keine Unterscheidung mehr treffen können. Katzen sind also dichromatisch – sie sehen zwei Farbkanäle (kurz- und langwelliges Licht), jedoch fehlt ihnen der dritte Kanal für mittlere Wellenlängen. In etwa so, als würde man die Welt ständig durch einen leicht entsättigten Instagram-Filter betrachten – weniger bunt, aber durchaus strukturiert.

Die Forscher gehen davon aus, dass dieses reduzierte Farbspektrum durchaus sinnvoll ist: In der Natur ist Bewegung oft wichtiger als Farbe. Und für einen Jäger, der nachts auf Mäuse lauert, zählt eher das Flimmern im Gras als der genaue Grünton eines Blattes.

Und was ist jetzt mit dem roten Ball?

Als ich meinem Bruder die Ergebnisse zusammenfasste, sah er mich lange an, dann Polly, dann den Ball. „Aber sie nimmt doch immer den roten“, sagte er leise. Ich nickte. Vielleicht. Vielleicht sieht Polly darin einfach den stärksten Kontrast, vielleicht ist er nur besonders gut gerollt. Oder vielleicht ist der rote Ball eben doch ein kleines Rätsel in Katzenform – wie so vieles bei diesen Tieren.

Sicher ist nur: Katzen sehen Farben. Nicht so wie wir, nicht so differenziert, aber sie sehen sie. Und manchmal reicht schon das Licht, das anders auf einen Gegenstand fällt, damit aus einem grauen Nachmittag ein Bild entsteht, das bleibt. Man muss nur genau hinschauen oder, wie Polly, genau hinspielen.

Quellen:

Loop, M. S., Bruce, L. L. & Petuchowski, S. (1979). Cat color vision: The effect of stimulus size, shape and viewing distance. Vision Research, 19(5), 507–513. https://doi.org/10.1016/0042-6989(79)90135-4

Clark, D. L. & Clark, R. A. (2016). Neutral point testing of color vision in the domestic cat. Experimental Eye Research, 153, 23–26. https://doi.org/10.1016/j.exer.2016.10.002 

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