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Der letzte Weg – warum wir unsere Haustiere im Stich lassen | Tierärzte warnen

Es ist Dienstag, 15:30 Uhr, Warteraum einer Tierarztpraxis. Neben mir sitzt eine ältere Dame, auf dem Schoß eine Katzenbox. Darin: Whiskers, 16 Jahre alt, Niereninsuffizienz, blind auf einem Auge. Die Frau weint leise. „Ich kann mir die Behandlung nicht mehr leisten”, flüstert sie der Tierarzthelferin zu. „Er war 14 Jahre bei mir, aber jetzt…” Sie vollendet den Satz nicht. Muss sie auch nicht.

In zwei Stunden wird Whiskers eingeschläfert. Nicht weil er leidend krank ist. Sondern weil 400 Euro für eine Behandlung zu viel sind.

Willkommen in der Realität der Haustierhaltung.

Wir leben in einer Gesellschaft, die 50 Euro für einen Restaurantbesuch ausgibt, aber bei 200 Euro Tierarztkosten das Einschläfern erwägt. Die sich über 800 Euro für das neueste iPhone freut, aber bei 600 Euro für eine Hüft-OP zusammenzuckt. Die jeden Monat 120 Euro für Netflix, Spotify und Amazon Prime zahlt, aber bei 80 Euro monatlichen Medikamentenkosten für den Hund „schwere Entscheidungen” treffen muss.

Das ist nicht nur Heuchelei. Das ist Verrat.

Ein Haustier zu haben bedeutet Verantwortung. Nicht nur für die süßen Welpenjahre, sondern für das ganze Leben. Für Krankheiten, Operationen, chronische Leiden. Für den Moment, wenn aus dem verspielten Kätzchen eine gebrechliche Seniorin wird. Für die Zeit, wenn Liebe teuer wird.

Aber das verdrängen wir. Beim Kauf denken wir an Instagram-Fotos und Kuschelabende. Nicht an Diabetes, Arthrose oder Tumore. Nicht an 15 Jahre Verantwortung. Nicht an den Tag, wenn es schwierig wird.

Die Statistiken sind brutal

40% aller Haustierbesitzer würden ihr Tier einschläfern lassen, wenn die Behandlungskosten über 1.000 Euro lägen. Nicht wegen unheilbarer Krankheiten. Wegen des Geldes. Tiere, die noch Jahre leben könnten, werden zu Wirtschaftsfaktoren reduziert.

Gleichzeitig geben Deutsche 5,2 Milliarden Euro jährlich für Haustierfutter und -zubehör aus. Für Designer-Halsbänder, Bio-Leckerlis, orthopädische Hundebetten. Aber wenn es darauf ankommt – wenn Leben und Tod an 500 Euro hängen – dann rechnen wir.

Ich habe Tierärzte interviewt, die täglich diese Gespräche führen. Die erklären müssen, dass eine Behandlung das Leben retten könnte. Die dann hören: „Aber es ist ja nur ein Tier.” Die hilflos zusehen, wie Tiere sterben, die hätten gerettet werden können.

Das Problem sind nicht die hohen Tierarztkosten.

Das Problem sind wir. Unsere Prioritäten. Unser Verständnis von Verantwortung. Unser Umgang mit Lebewesen, die uns bedingungslos vertrauen.

Es gibt Lösungen: Tierkrankenversicherungen, Rücklagen, Ratenzahlungen. Aber die setzen Planung voraus. Voraussicht. Die Erkenntnis, dass ein Tier kein Spielzeug ist.

Es bleibt an uns. Übernehmen wir Verantwortung – vollständig. Rechnen wir vor dem Kauf. Planen wir für das Alter. Und stehen wir zu unseren Tieren, wenn sie uns am meisten brauchen.

Whiskers ist tot. Seine Besitzerin hätte ihm noch drei gute Jahre schenken können. Für 400 Euro.

Ich bin Max Löhmer. Und ich vergesse nicht.


Max Löhmer (41) hat sich als Reporter mit vielen Themen beschäftigt– bis ihm ein sterbender Billig-Welpe das Herz brach. Seitdem kämpft gegen Tierleid und die Welpenmafia. In „Löhmer blickt hin“ zeigt er, wo andere wegschauen.

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