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Trudi und die Kunst des Wartens

Hier schreibt: Lilo Sommer lebt mit ihrer Katze Trudi in einer alten Stadtwohnung voller Bücher, Teetassen und zerfetzter Sofakissen. Sie liebt Jazz, Weißwein und diese stillen Momente, in denen Trudi schnurrend auf ihrem Bauch entspannt und sie anblinzelt, als wüsste sie alle Antworten auf das Leben, aber ihr trotzdem keine verrät.

Es regnet heute, und Trudi sitzt seit einer Stunde vor der Balkontür und starrt hinaus. Bewegungslos. Wie eine pelzige Statue der Geduld. Ich weiß nicht, worauf sie wartet. Auf das Ende des Regens? Auf einen Vogel? Auf eine Eingebung?

Ich bin unruhig. Laufe durch die Wohnung, räume Bücher um, die schon gestern an derselben Stelle standen, spüle Teetassen, die bereits sauber sind. Draußen tropft es monoton von der Regenrinne, und ich denke: Wann habe ich verlernt zu warten?

Früher, als Kind, konnte ich das. Stundenlang am Fenster sitzen und den Wolken beim Wandern zusehen. Oder im Garten liegen und den Käfern beim Krabbeln zugucken. Wann wurde aus diesem stillen Schauen dieses nervöse Getue?

Trudi rührt sich nicht.

Sie wartet einfach. Ohne Ungeduld, ohne dieses zappelige Gefühl, das mich befällt, wenn ich nichts zu tun habe. Sie wartet, als wäre das Warten selbst schon ein Zustand des Glücks.

Ich setze mich neben sie auf den Boden. Der Parkettboden ist kalt unter meinen Beinen, aber ich bleibe. Schaue auch hinaus in den Regen. Auf die Tropfen, die an der Scheibe herunterlaufen. Auf die Pfütze, die sich langsam in der Regenrinne des Nachbarhauses bildet.

Nach einer Weile spüre ich, wie sich etwas in mir entspannt. Wie die Unruhe weggegossen wird vom Regen. Trudi schnurrt leise, obwohl ich sie nicht berühre. Als würde sie sagen: “Siehst du? Es ist gar nicht so schwer.”

Wir sitzen da, eine Frau und eine Katze, und warten auf nichts Bestimmtes. Und plötzlich verstehe ich: Das ist es. Das ist das Geheimnis. Nicht das Warten auf etwas, sondern das Warten mit jemandem.

Als der Regen aufhört, steht Trudi auf, streckt sich ausgiebig und geht zu ihrem Futternapf. Als wäre das alles ganz selbstverständlich gewesen. Ich bleibe noch einen Moment sitzen und denke: Vielleicht ist Geduld keine Tugend, sondern eine Kunst. Und vielleicht sind Katzen die besseren Künstler.

Lilo Sommer

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